Forderung nach Umbenennung von belasteten Straßennamen

Wir fordern, dass sich die Stadt Mainz kritisch und konsequent mit ihren Straßennamen auseinandersetzt. Straßennamen sind nicht nur dazu da, um sich in der Stadt zu orientieren, sondern sie sind seit ihrer Erfindung dazu da, an Menschen oderwichtige Ereignisse zu erinnern und diese zu ehren. Insofern waren Straßennamen schon immer ein Werkzeug des politischen Systems, um Gedankengut und Überzeugungen im Stadtbild zu verankern.

Nach dem Ende des faschistischen Regimes blieb eine große Umbenennung von Straßennamen aus. Einzig Straßen, die zwischenzeitlich nach den obersten Nazis benannt wurden, bekamen meistens ihren vorherigen Namen zurück. Jenseits dessen fand eine Rückbenennung analog zur Entnazifizierung in der bundesdeutschen Gesellschaftnicht statt und alte Nazis standen über die gesamte bundesrepublikanische Geschichte weithin in Amt und Würden. Die erst spät einsetzende und allenfalls vereinzelte Umbenennung weiterer Straßen fand in der BRD ohne Gesamtkonzept und Systematik statt.

Entsprechend muss auch die Arbeit (und ganz besonders der vom Stadtrat beschlossene Arbeitsauftrag) der Mainzer AG "Historische Straßennamen" deutlich kritisiert werden. Die AG, als spät unternommener Versuch, in der Stadt systematisch Straßennamen zu untersuchen, hat erstens nur Straßennamen betrachtet, die in Verbindung mit dem Nationalsozialismus stehen könnten, obwohl sowohl die deutsche als auch die Menschheitsgeschichte darüber hinaus kritisch reflektiert und andere historische Kontexte wie beispielsweise die deutsche Kolonialvergangenheit einbezogen werden müssten. Zweitens hat die AG auch nicht bedacht, von wem und zu welchen Zwecken Straßen benannt wurden. So sind alle Straßennamen, die zwischen 1933 und 1945 benannt wurden, kritisch zu prüfen, da sie immer für Propagandazwecke des Faschismus genutzt wurden und der Diffamierung ihrer politischen Gegner aus dem Stadtbild und einem öffentlichen Erinnerungsraum dienten.

In die letzte Kategorie fällt beispielsweise der in der AG Historische Straßennamen nicht behandelte Kaiser-Wilhelm-Ring, benannt nach dem Antisemiten, Rassisten und Imperialisten Wilhelm II., der zur Zeit der Weimarer Republik dem großen Theoretiker der Sozialdemokratie August Bebel als "Bebelring" gewidmet war. Gleiches gilt für die nach der Machtübertragung an die Nazis erfolgte Umbenennung des Forsterplatzes, benannt nach dem republikanischen Mainzer Revolutionär Georg Forster, in 117er Ehrenhof. Dieser Akt wird als "Zugeständnis" an die Veteranen des entsprechenden Militärverbundes verkauft, ohne zu beachten, dass diese Teil der völkischen und rechtsradikalen Bündnispartner der Nazis aus dem schwarz-weiß-roten Spektrum waren und entsprechend menschenverachtende Ideologie teilten. Bereits an diesen beiden Beispielen lässt sich die in der bisherigen Arbeit der AG Historische Straßennamen deutlich zu eng gefasste und an formalem NS-Bezug orientierte Untersuchungspolitik festmachen.

Der bisherige Ansatz zur Umbenennung von Straßennamen zeigt sich also als deutlich unzureichend. Entsprechend fordern wir die Stadt Mainz dazu auf, eine neue Kommission zu bilden, die transparent und mit der gesamten Mainzer Bevölkerung zusammen neben der Straßen-/Platzbenennung zwischen 1933 und 1945 einen weiteren Negativkatalog beigeehrten Personen berücksichtigt. So ist bei allen bestehenden Benennungen die Frage zu stellen, ob die geehrten Personen antisemitischer, rassistischer wie kolonialistischer, militaristischer oder antidemokratischer Gesinnung waren. Taugen diese Personen als Vorbild in einer pluralen und demokratischen Gesellschaft? Weder ein Kolonialschriftsteller wie Adam Karrillon noch ein "Fliegerheld" wie der an der massenmörderischen "Legion Condor" beteiligte Werner Mölders kommen als solcherart geehrte Personen in Frage. Unter einer solchen Prämisse wäre weiterhin festzustellen, welche Straßen und welche Plätze in Mainz umbenannt werden müssen. Aber auch die positive Antwort darauf, nach welchen Personen oder welchen Ereignissen wir die umzubenennenden und neuen Straßen benennen wollen, also wen oder was wir als Gesellschaft ehren wollen.

Neben der Rückbenennung im Unrecht umbenannter Straßen, sind bei weiteren Straßen und ihrer Neubenennung im Stadtbild generell unterrepräsentierte Gruppen zu berücksichtigen. Ein Vorschlag hierzu ist, bei Straßennamen die Opfer von rassistischen und antisemitischen Attentaten zu berücksichtigen. Außerdem muss in Mainz verstärkt von der Stadt Erinnerungsarbeit für die ermordeten und vertriebenen Jüd:innen sowie Sinti:za geleistet und gefördert werden.

Jenseits der Ehrungen in Straßennamen sind eigens ebenfalls alle baulichen Denkmäler in ihrer Widmung zu untersuchen. Ein bloßes Umbenennen oder eine Hinweistafel reicht dafür nicht aus. Das "Denkmal des deutschen Ostens" oder das Gonsenheimer Kriegerdenkmal, wie auch andere chauvinistische oder militaristische Monumente, lassen sich durch keine Umbenennungen oder versteckte Hinweistäfelchen als positiver Ausdruck in eine plurale und demokratische Gesellschaft integrieren. Wenn die Kontinuität mit diesen
gebrochen werden soll, und dafür plädieren wir, dann müssen diese musealisiert werden. Dass die bundesdeutsche Gesellschaft dazu in großem Maßstab ganz offenkundig in der Lage ist, hat der Anschluss der DDR gezeigt.

Eine Gesellschaft, die sich der Diskriminierungsfreiheit als Ziel verschreibt, braucht einen kritischen Umgang mit ihrer eigenen Geschichte!

Als Allgemeiner Studierendenausschuss sehen wir die Förderung des politischen Verantwortungsbewusstseins und der Bereitschaft unserer Mitglieder zur aktiven Toleranz -wie es das Landeshochschulgesetz vorsieht -als unvereinbar damit, tatenlos zuzusehen, wie weiter Faschist:innen und Antidemokrat:innen durch Straßennamen geehrt werden. Dass wir mit unserer Position nicht alleine stehen, zeigt der offene Brief zur Forderung nach der Umbenennung von Straßennamen des Bündnisses "Bunte Straßen, buntes Mainz", bestehend aus zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen. Wir fordern die Stadt Mainz auf, sich kritisch, transparent und konsequent mit den Mainzer Straßennamen auseinanderzusetzen!