Offener Brief an Minister Hoch & Prof. Dr. Krausch

 

 

Sehr geehrter Minister Hoch,
Sehr geehrter Prof. Dr. Krausch,

mit Verwunderung und Irritation haben wir Ihr Aufruf-Schreiben vom 03.12.21 erhalten, in dem Sie Studierende dazu aufrufen, 'ihren Beitrag zur Pandemie-Bekämpfung' zu leisten und möchten hierzu kurz Stellung nehmen.

Wir glauben nicht, dass es Ihre Intention war, aber für uns schwingt in Ihrem Schreiben doch eine ordentliche Portion Hohn mit. Darüber hinaus empfinden wir den Aufruf an die Studierenden als Maskerade Ihrer gescheiterten Corona-Politik. Mit keinem Wort übernehmen Sie Verantwortung für die Lage, in der wir aktuell sind. Man kann den Eindruck bekommen, dies sei eine unvorhersehbare Naturkatastrophe - alle wissen, dass dies nicht der Fall ist.

Darüber hinaus sind wir Studierende seit Beginn der Pandemie durch diverse ehrenamtliche und bezahlte Aufgaben fester Bestandteil der Pandemiebekämpfung, und das, obwohl wir von den politischen Akteur*innen und Entscheidungsträger*innen so gut wie nie mit bedacht werden. Die aktuelle Situation und die hohen Inzidenzen sind die Folge desaströser politischer Entscheidungen und können und sollten v.a. nicht mit studentischem Engagement gelöst werden. Uns Studierende jetzt dazu aufzufordern (wahrscheinlich mitunter unentgeltlich oder größtenteils für maximal den Mindestlohn), unseren 'Beitrag' zur Pandemiebekämpfung zu leisten, geht daher völlig an der Realität vorbei.

Ihrem Aufruf scheint eine (leider relativ weit verbreitete) falsche Annahme zugrunde zu liegen: Uns Studierenden wird oft unterstellt, wir hätten viel Zeit für ein solches 'Engagement' - dabei studieren die allermeisten von uns in Vollzeit, zwischen Wohnungsnot, gehetzt von Creditpoints und Regelstudienzeit und müssen darüber hinaus, aufgrund unzureichender Studierendenfinanzierung (Stichwort BAföG), größtenteils ohnehin noch nebenher arbeiten. Wieso wird ausgerechnet an uns die Erwartung herangetragen, uns darüber hinaus 'zu engagieren'?

Die Instrumente und Strategien für eine adäquate globale (!) Bekämpfung der Pandemie liegen seit mittlerweile mehr als einem Jahr auf dem Tisch. Handeln Sie als Gesundheitsminister und leisten Sie ihren Beitrag, indem Sie z.B. die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern. Gut ausgebildete Menschen mit jahrelanger Erfahrung verlassen aufgrund der Arbeitsbedingungen den Job, Krankenhäuser wurden und werden privatisiert und wenn sie nicht rentabel sind, geschlossen, die Pandemie trifft auf ein und wird befeuert von einem kaputt gesparten Gesundheitssystem. Also: schaffen Sie gute Arbeitsbedingungen für die Menschen in diesem Bereich, fahren Sie die Testkapazitäten hoch, nehmen Sie Geld in die Hand, setzen Sie sich für die Freigabe der Impfpatente ein - aber versuchen Sie nicht, die politische Verantwortung auf uns Studierende abzuwälzen, die in diesem Chaos-Semester wieder mit Isolation, unzureichender Finanzierung und vielem mehr zu kämpfen haben. Beschäftigen Sie Menschen in ordentlichen, guten Beschäftigungsverhältnissen, anstatt die Arbeit im Sinne wirtschaftlicher Rationalität auf temporär und vergleichsweise günstig zu beschäftigende Studierende auszulagern, (deren Studienfortschritt weiter darunter leidet).

Die bisherige Corona-Politik ist gescheitert, die Fakten sprechen für sich: das Gesundheitssystem ist überlastet, Entscheidungen wurden und werden viel zu spät getroffen. Warnungen von Wissenschaftler*innen werden ignoriert und Entscheidungen meist nur unter Berücksichtigung insbesondere wirtschaftlicher Interessen getroffen. Es gibt nach wie vor keine tragfähige, menschenwürdige Strategie mit globaler Perspektive, die konsequent umgesetzt wird. Während Universitäten und teilweise auch Schulen geschlossen wurden und Lehrveranstaltungen großteils online stattfanden, politische sowie kulturelle Veranstaltungen abgesagt wurden und soziale Kontakte massiv eingeschränkt wurden, galt im letzten Lockdown: "Nur 13 Prozent der Wirtschaft waren direkt von dem Lockdown betroffen. 87 Prozent der Wirtschaft produzierten weiter, als gäbe es die Pandemie nicht"[1]. Wir haben genug: eine solche Situation werden wir nicht noch einmal hinnehmen.

Wir sind aber bereit, unseren Teil im Rahmen einer solidarischen, politischen Gesamtstrategie beizutragen. Diese ist für uns aktuell nicht in Sicht und deshalb positionieren wir uns hier deutlich! Wir sind nicht bereit, die kommenden Jahre online und/oder unter diesem massiven Druck der Unsicherheit zu studieren, sehen dies allerdings kommen, wenn weiter verfahren wird wie bisher.

Wir kritisieren die mangelhafte Berücksichtigung studentischer Interessen in der bisherigen Pandemie-Bekämpfung - sowohl im politischen Diskurs und den politischen Entscheidungen als auch inneruniversitär.

Die aktuelle, dramatische Lage hätte verhindert werden können, nun braucht es schnelle, tragfähige Lösungen.

Nicht die Studierenden sind am Zug, sondern die politischen Entscheidungsträger*innen, einfach ausgedrückt: Sie und Ihre Landes- und Bundesregierung!

Bei dieser Gelegenheit möchten wir noch einmal auf unser Statement zur Coronalage & Unibetrieb hinweisen, welches hier zu finden ist: https://asta.uni-mainz.de/2021/12/04/16711/

 

Mit freundlichen Grüßen

 

der AStA der JGU Mainz

 

 

[1] https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/hass-und-wut-auf-die-ungeimpften-bringen-uns-nicht-weiter?fbclid=IwAR2_wgPnZgjRhpOcrs1ka2Xl4_EbJjysj6jEp6JZKWyZlgNbOKS6eTXfZ6U